Eingeschränkte Akteneinsicht
Eine Rechtsanwältin aus Salzburg wurde vom Angeklagten in einem Strafverfahren drei Tage vor der Hauptverhandlung mit seiner Verteidigung beauftragt, weshalb sie kurzfristig die Aktenkopie für die Hauptverhandlung beantragte und diese auch rechtzeitig erhielt. Den Akteninhalt besprach sie mit ihrem Mandanten telefonisch und per E-Mail. Gleich zu Beginn der Verhandlung begann der Richter ihren Mandanten intensiv zur Strafregisterauskunft zu befragen, als die Kollegin feststellte, dass ihr diese mit der Aktenkopie nicht übermittelt worden war.
Da von drei eingetragenen Vorstrafen die jüngste fünf Jahre und die älteste elf Jahre zurücklag, waren diese ihrem Mandanten nicht mehr geläufig. Hinzu kam, dass er ohne Deutsch als Muttersprache den Richter mit FFP2-Maske kaum verstand. Als der Richter dem Mandanten vorwarf, dass die bislang bedingt nachgesehenen Strafen auf ihn offenbar keinen Eindruck gemacht hätten, erklärte die Rechtsanwältin, dass die Strafregisterauskunft nicht im Akt war. Der Richter behauptete daraufhin entrüstet, diese sei selbstverständlich zugestellt worden. Es stellte sich heraus, dass dem nicht so war. Von Seiten der Bezirksanwältin und einer Kanzleimitarbeiterin wurde erklärt, dass die Strafregisterauskunft an den Verteidiger nicht mit dem Akt übermittelt werden darf. Es hieß, die Übermittlung der Strafregisterauskunft müsse gesondert beantragt werden. Als der Richter das Thema Diversion ansprach, bekundete die Bezirksanwältin sofort, dass sie „bei sieben Eintragungen“ keiner Diversion zustimme. Es stellte sich heraus, dass die Bezirksanwältin eine Liste hatte, auf der sämtliche jemals mit einer Person in Verbindung stehenden Vorgänge bei Gericht eingetragen waren, unabhängig davon, ob sie gemäß § 190 StPO
eingestellt wurden oder schon getilgt waren. So wurden aus den drei, zwischen fünf und elf Jahren zurückliegenden Eintragungen auf einmal sieben Eintragungen, welche für die Bezirksanwältin Grundlage zur Ablehnung der Diversion waren.Die Rechtsanwältin konnte keine Bestimmung finden, nach der die Strafregisterauskunft für den Verteidiger des Angeklagten von der Akteneinsicht ausgenommen wäre und wundert sich besonders, dass am BG
Waidhofen an der Ybbs für die Beurteilung eines Angeklagten durch die StA nicht rechtskräftige Vorstrafen, sondern Verfahren, die eingestellt wurden, zum Freispruch führten oder getilgt sind, herangezogen werden. Einsicht in diese Liste erhielt der Richter, der Kollegin wurde diese vorenthalten.